Wurden die Reallöhne jahrelang falsch berechnet?

Gemäss Ernst Baltensberger, emeritierter Ökonomieprofessor der Universität Basel, könnte die Teuerung und damit die Reallöhne jahrelang falsch berechnet worden sein.

Als Definition der Preisstabilität soll demzufolge nicht mehr eine Teuerungsrate von Null gelten. Gemäss einer neueren Definition bedeutet Preisstabilität eine Inflationsrate grösser Null. Die Schweizerische Nationalbank etwa präzisiert diesen Bereich auf eine Teuerung (Inflation) zwischen 0 und 2 Prozent.

Der Grund für diese neue Definition der Preisstabilität ist die technische Entwicklung diverser Güter. Autos, TV-Geräte und viele andere Dinge haben zusätzliche Funktionen erhalten und sich derart verändert, dass man sie als neue Produkte ansehen könnte. Die Preiserhöhung bezieht sich demnach auf die neuen Funktionen und nicht auf die angestammten Funktionalitäten.

Dies führt dazu, dass man die Erhöhung des Preisniveaus überschätzt. Die vom BFS gemessene Inflation ist daher höher als die tatsächliche Inflation. Wurden also die Reallöhne jahrelang falsch berechnet?

Baltensberger schätzt, dass die gemessene Inflation die tatsächliche Inflation um ungefähr 1 Prozent übertrifft. Kumuliert sich diese Fehleinschätzung über einen längeren Zeitraum, macht dies einen grossen Unterschied. Über die letzten 30 Jahre geht Baltensberger von einer Fehlberechnung des Wachstums von rund 35 Prozent aus.

Die Konsequenzen wären damit eine Unterbewertung der tatsächlichen Kaufkraft und der Reallöhne, da sie mit Hilfe der Preisentwicklung berechnet werden.

Dies erklärt gemäss Baltensberger, weshalb der Reallohn und das Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren gering ausgefallen sind, doch gleichzeitig die Konsummöglichkeiten grösser geworden sind.

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Artikel in der NZZ vom 14.05.2019